Anne Schlöpke (links), Silke Mohrhoff (rechts)
26. September – 30. Oktober 2025
Tauschen wir die Haut?
Objekte, Installationen
Eröffnung am Freitag, 26.09.2025 ab 19.00
Einführende Worte: Svenja Sisypha Wetzenstein
Künstlerinnengespräch: Sonntag, 19.10.2025, 15 Uhr
Silke Mohrhoff
erforscht in ihrer künstlerischen Arbeit den menschlichen Körper,
das menschliche Sein mit all seiner Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit. Hierbei überschreitet sie Grenzen: zwischen Mensch- und Tierwelt, Traum und
Realität.
Mit unterschiedlichen Materialien und Fundstücken sucht sie nach Ausdrucksmöglichkeiten, dem Gefühl einen Raum zu geben - oder dem Raum ein Gefühl zu
geben.
Die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit des Körpers, des Seins stehen immer im Zentrum ihrer Ausdrucksweisen. Der Körper sowie der Raum werden bei ihr zum Ort des Experimentierens.
Anne Schlöpke beschäftigt sich mit der Verknüpfung von Alltagserfahrung und Unbewusstem, mit der Verbindung von Wahrnehmung und Emotion.
Sie sammelt verwaiste Dinge und Materialien verschiedenster Art, befragt sie auf ihren emotionalen Gehalt hin und bearbeitet und inszeniert sie so lange, bis sie ihre Erzählung jenseits der Sprache beginnen. Auf diese Weise erscheint der Umgang mit ihnen als der fortwährende Versuch, das ablaufende Leben zu begreifen.
https://www.silkemohrhoff.de/
https://www.anneschloepke.de/
"Paniken im Karton und der Tod, der geliebt sein will –
die Zartheit des Seins" Text von Svenja Wetzenstein
Ich hatte das Vergnügen, gleich zwei Mal in surreale Welten voller neuer Zusammenhänge einzutauchen, als ich Anne Schlöpke und Silke Mohrhoff in ihren Ateliers besuchte.
So sehr ihre Arbeiten sich unterscheiden, so sehr ähneln sie sie sich in dem zentralen Punkt, dass man in jeweils einen eigenen Kosmos eintaucht, in dem die Wesen und Dinge bizarren Gesetzen folgen, die zwar unbekannt wirken, aber
dennoch einer inneren Logik gehorchen.
Anne Schlöpke bringt Dinge zum Reden. Was sie sagen, ist schwer zu fassen. Vielleicht sind es ihre verworrenen Träume. Düstere, begehrliche, innige und einsame Momente, wie sie nur vom Oberkörper und Kopf getrennte Extremitäten erleben können, raunen sie einem zu, wenn man an ihnen vorbeigeht. Oder sind es Erinnerungen des Hundeprinzen im rosa Jäckchen?
Schlöpkes Arbeiten bestehen aus verschiedensten Materialien, aus Dingen, die sich auf den ersten Blick widersprechen. Sie zeichnet, modelliert, häkelt, baut, archiviert, ordnet zu. Und vor allem kombiniert sie. Sie fügt Gegenstände vom Flohmarkt zusammen mit selbst gefertigten Teilen von Plastiken, Handarbeiten und Haushaltsgeräten. Sie trennt, verändert, sie greift ein. Dieser Prozess wirkt spontan, ist aber tief reflektiert. Sie versucht, verwirft, verändert. Ruhe, Distanz und Konsequenz sind wesentliche Bestandteile ihrer Arbeitsweise.
Oft arbeitet Anne gleichzeitig an mehreren Installationen. Die Fragen, die sie dabei beschäftigen, begleiten sie über lange Zeiträume, unterschwellig, manchmal kaum greifbar. Doch sie arbeiten in ihr weiter, verändern den Blick, verschieben den Fokus, bewegen sich und oszillieren. Und manchmal, wenn sie nachts nicht schlafen kann und sich dem Bügeln widmet, schießt plötzlich eine Idee in ihr Bewusstsein – die Antwort auf eine dieser Fragen. Oder auch nicht.
Es verwundert nicht, dass Anne während ihres Kunststudiums in Bremen unter anderem auch in der Filmklasse tätig war. Ihre Arbeiten sind zugleich Kulisse und Akteur, Bühne und Erzählung. Sie behandelt keinen Stoff – sie wirkt ihn. Es entsteht ein dicht gewebter Raum, durchzogen von Löchern, groß genug, um in verborgene Welten hinter den Dingen zu schauen.
Die Betrachtenden werden zu Voyeur*innen, zu Zeug*innen seltsamer, intimer Szenen. Und je länger man schaut, desto mehr erkennt man: Es geht nicht nur um das erstaunliche Eigen-Leben dieser Dinge, sondern um Einsichten in die eigenen inneren Räume. Deswegen berühren ihre Arbeiten unmittelbar. Sie lösen Angst, Zärtlichkeit, Ekel oder Empathie aus – weil sie in ihrem Absurden eine seltsame Wahrheit transportieren.
Mich erstaunt bei jeder ihrer Installationen aufs Neue, wie die Objekte überhaupt existieren konnten, bevor sie Anne über den Weg liefen und in diesen Zusammenhang eingebunden wurden. Die Montage erscheint so zwingend, so organisch, dass man sich kaum vorstellen kann, die Einzelteile könnten jemals ohne dieses Gefüge bestanden haben.
In der Arbeit „Fruchtwasser“ steht das Oberteil eines nostalgischen schwarzen Puppenwagens nicht auf Rädern, sondern auf einer umgedrehten weißen Babybadewanne. Wie in einem Ausflugsdampfer scheinen darin Passagiere durch den Raum zu gleiten. Ein weißes flauschiges Tier, vielleicht ein Teddy, vielleicht eine überdimensionierte Maus, mit einer absurd großen Nase sitzt einem fellbedeckten Wesen gegenüber, das keine klar erkennbare Anatomie hat. Ein Körper mit Andeutungen von Beinen, vielleicht einem Schwanz, aber ohne Kopf.
Zwischen ihnen liegt ein blondes gelocktes Haarteil. Wanne, Puppenwagen und Kuscheltiere verweisen auf den Beginn eines Lebens. Dieses Gefühl wird bestärkt, durch das auf der Wanne angebrachte Wort „Fruchtwasser“. Sind diese beiden Wesen embryonale Momentaufnahmen? Verweisen die Knospen von Ärmchen und Beinchen auf eine unfertige Entwicklung? Oder auf Einschränkungen, die dieses Wesen hat? Ist das Haarteil ein Hinweis auf die Herkunft, Elternschaft, die DNA, die aus den Haarwurzeln analysiert werden kann und die innerer Bauplan dieser Biogenese ist? Doch in der umgedrehten Wanne kann man nicht baden, im Wagen ohne Räder nicht fahren, ohne Kopf mit Hirn nicht überleben und denken… Ist die gesamte Entwicklung zum Scheitern verurteilt? Und doch: So weit, wie das weiße Tier die Arme öffnet, bleibt die Hoffnung, dass es sein Gegenüber liebevoll annehmen wird – mit oder ohne Kopf.
Auf verschiedenen Ebenen beziehen sich die Elemente aufeinander. Die Formen ergänzen sich, die Materialien interagieren miteinander und die Assoziationen der Betrachtenden fließen ein in das große Bild – in diese seltsame fragile Welt, die zugleich Märchen, Versuchsanordnung und Psychogramm ist Der Eingriff in Sehgewohnheiten und Funktionen verwandelt die Szenerie in ein poetisches Labor, das neue Zusammenhänge erforscht und den Dingen auf den Grund geht. Und gleichzeitig verweist jedes der Objekte aufs Menschsein an sich.
Als ich Annes Atelier verließ, fiel mein Blick auf ein Regal voller sorgfältig beschrifteter Kartons – systematisch geordnet, voller Materialien, aus denen irgendwann wieder Welten entstehen werden. Auf einem der Kartons stand: „Paniken“. Ich ging mit dem tröstlichen Gedanken, dass sich manche Zustände vielleicht tatsächlich archivieren lassen – in Kisten, beschriftet und verstaut. Bis zu dem Tag, an dem man sie braucht. Oder an dem sie sich von selbst wieder melden.
Der Weg zu Silke Mohrhoffs Atelier führt durch einen verwunschenen Garten zu einem kleinen Häuschen, in dem eine Schar merkwürdiger Wesen ruht. Sie scheinen in einem tiefen Dornröschenschlaf zu liegen – oder, sofern sie Augen haben, blicken sie still und versunken in sich selbst. Blickkontakt zu den Betrachtenden gibt es nur selten. Wie bei Anne Schlöpke hat man auch hier das Gefühl, als stille*r Beobachter*in in eine fremde, intime Welt einzudringen.
Fast automatisch wird man leiser, vorsichtiger. Man möchte die Wesen nicht stören, sie nicht aufwecken, sie nicht erschrecken.
Silke Mohrhoffs Arbeiten, Plastiken und Installationen, erzählen vom gelebtem Leben. Von den Spuren, die es hinterlässt. Von Verletzlichkeit und davon, wie leicht Leben verwundet werden kann. Ihre Figuren wirken friedlich, zart, manchmal fast überirdisch schön. Viele sind klein, alle wirken schutzbedürftig, fragil. Man möchte sie nicht berühren, aus Angst, sie zu zerstören.
Und doch ist ihnen das Ende eingeschrieben. So wie bei uns mit der Geburt bereits der Tod feststeht, so verweist auch jede ihrer Gestalten auf ihre eigene Vergänglichkeit, die ihr vom ersten Moment an innewohnt. Der kleine Tod – ohne Arme, unfähig zu greifen, zu handeln – blickt aus leeren Augenhöhlen in die Welt und bittet: „Hab mich lieb.“
Die Keramik „Das Zurückbleiben – Tot sein ist an und für sich nichts Besonderes“ erinnert an den Torso eines lebendigen Wesens. Doch auch hier ist die Farbe bereits aus dem Gesicht gewichen. Die Basis bildet ein filigranes Netz, durch dessen weite Maschen Totenschädel blitzen. Die Augen sind eingefallen; aus den dunklen Höhlen quellen Tränen von fleischlicher Konsistenz, als wären sie selbst Teil des Körpers. Es sind diese Tränen, die am eindrücklichsten vom Leben erzählen. Während die Figur beinlos und unbeweglich auf dem Netz aus Zerbrechlichkeit ruht, strömen sie mit Vehemenz aus den Augenhöhlen, bedecken die Wangen, rinnen, kullern, stürzen.
Fast wirkt diese Szene wie eine neu kontextualisierte Bildwelt christlicher Ikonografie: So wie Christus am Kreuz, dargestellt auf der Schädelstätte Golgatha, mit dem Schädel Adams zu seinen Füßen, so ruht auch diese Figur auf einem Grund aus Schädeln.
So wie bei Christus das Blut des ewigen Lebens aus der Wunde fließt, die ihm mit einer Lanze zugefügt wurde, strömen hier Tränen des Lebens.
Fast könnte man meinen, man sei Zeuge einer Art profanen Abendmahls, einer Feier des Lebens, nur ohne konfessionellen Rahmen. Es würde mich nicht verwundern, wenn plötzlich ein Kelch mit Weißwein gereicht würde, symbolisch gefüllt mit den Tränen, die hier vergossen wurden.
„Nehmet hin und trinket, das sind meine Tränen, die für euch vergossen wurden. Tut dies zu meinem und eurem Gedächtnis, zum Gedenken daran, wie kostbar das Leben ist. Denn wir sind sehr viel länger tot als lebendig.“
Auch die Schmetterlinge in den Filmsequenzen, die im Kabinett zu sehen sind, verweisen auf das Spannungsfeld zwischen Sterben und Wiedergeburt. In der Sepulkralkultur stehen sie symbolisch für Transformation, für das neue Leben, das aus der Starre der Puppenhülle hervorbricht. Umso passender, dass ein alter Mann Silke kurz vor seinem Tod diese Filme schenkte; Aufnahmen, die er über viele Jahre hinweg gemacht hatte und die heute eine längst geschrumpfte Insektenvielfalt dokumentieren.Silke Mohrhoff schenkt ihnen ein weiteres Leben, indem sie sie in ihre Installationen integriert und sie damit in den Dialog des sich verändernden zeitlichen Kontextes setzt.
Im Griechischen bedeutet das Wort „Psyche“ nicht nur „Seele“, sondern auch „Schmetterling“. In der Mythologie ist Psyche eine sterbliche Königstochter, die sich in Amor, den Gott der Liebe, verliebt und schließlich selbst in den Kreis der Unsterblichen aufgenommen wird. Und da sind wir wieder bei dem kleinen Tod, der um Liebe bittet. Ist es seine Hoffnung auf Leben? Auf Unsterblichkeit?
In einem Regal in Silkes Atelier liegen kleine gläserne Schatullen, in denen sie die Knöchelchen toter Tiere aufbewahrt. Sie sammelt sie, um zu verstehen, wie der innere Aufbau des Lebens beschaffen ist. Es sind stille Studien der Vergänglichkeit. Und doch auch: der Schönheit.
Am Ende meines Textes über die Arbeit dieser beiden Künstlerinnen, Anne Schlöpke und Silke Mohrhoff, bleibt der Eindruck einer tiefen Auseinandersetzung mit dem Leben in all seiner Schönheit, Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit. Ihre Arbeiten sind keine Flucht aus der Wirklichkeit, sondern ein eindringlicher Spiegel. Eine Feier des Lebens – gerade, weil es so leicht zerbrechen kann.
Ein Zitat aus dem ägyptischen Totenbuch beschreibt, was mir in diesen beiden Ateliers begegnet ist – nicht nur künstlerisch, sondern existenziell:
„Ich bin eine
Idee, in Fleisch gehüllt,
die aus dem Bauch des Himmels
entsprang.
Wie ein Falke fliege ich über das
Bekannte hinaus
in das Reich des
Unbekannten.“
Es ist einer der Sprüche, die den Toten, auf Papyrus geschrieben, mit ins Grab gelegt wurden.
Svenja Sisypha Wetzenstein
Silke Mohrhoff (links), Anne Schlöpke (rechts)